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Überprüfung der Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften (04. Februar 2015)

Die Kreis-Delegierten-Konferenz der SPD Karlsruhe-Stadt möge beschließen:

Wir fordern die SPD-Abgeordneten in Bund und Ländern auf, sich für die Überprüfung der Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften einzusetzen, wie in Artikel 140 Grundgesetz gefordert.

Begründung:

Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die Säkularisierung auf dem heutigen Gebiet Deutschlands vorangetrieben. Mit Beschluss des Reichsdeputationshauptschluss, einem der letzten Gesetze des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nationen, wurden geistliche Fürstentümer aufgelöst und kirchliche Besitztümer enteignet (sogenannte Säkularisation). Daraus ergaben sich gleichzeitig jährliche Entschädigungszahlungen an die Kirchen, die sogenannten Staatsleistungen. Diese finanziellen Mittel als Ausgleich für Enteignungen während vergangener Jahrhunderte erhalten die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland auch heute noch. Darin nicht enthalten sind Zuschüsse für kirchliche Kindertagesstätten oder Krankenhäuser.

2011 sind nach Angaben der Evangelischen Kirche in Deutschland insgesamt 472 Millionen Euro Staatsleistungen an die katholische Kirche und die evangelischen Landeskirchen geflossen. In Baden-Württemberg sind 2015 über 115 Millionen Euro dafür eingeplant. In Summe sollen so inzwischen etwa 15 Milliarden Euro zum Ausgleich von der öffentlichen Hand an die Kirchen geflossen sein.

Dabei weiß niemand, ob diese Summe den Wert der Enteignungen aus früheren Jahrhunderten deckt oder bereits überstiegen hat. Doch genau dazu ist der Gesetzgeber seit 1919 aufgefordert. Damals verfügte die Weimarer Reichsverfassung in Artikel 138 Absatz 1: “Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.” Das Grundgesetz überträgt diese Regelung in Artikel 140 auf die Bundesrepublik Deutschland. An die Stelle des Reichs rückt der Bund, der aufgefordert ist, die Ablösung der Staatsleistungen durch ein Grundsätzegesetz vorzubereiten. Anschließend sind die Länder aufgefordert, die Ablösung durch eigene Gesetzgebung zu vollziehen. Dieser Verfassungsauftrag wurde bis heute nicht befolgt.

Das heißt nicht, dass die Staatsleistungen in jedem Fall ersatzlos gestrichen würden. Stattdessen müssten die bislang geflossenen Staatsleistungen dem Wert der enteigneten Besitztümer der Kirchen gegenübergestellt werden. Das ist keine leichte Aufgabe. Nicht nur müssen die Werte von Grundstücken und Gebäuden zum jeweiligen Zeitpunkt der Enteignung geschätzt, sondern auch die Zinsentwicklung über mehrere Jahrhunderte ermittelt werden. Überschattet von der Entrüstung über die Finanzierung der Kirchen aus Steuermitteln werden die Staatsleistungen weder in der Politik noch in der Öffentlichkeit breit thematisiert. Doch der Ablöseauftrag bleibt. Und so ist fernab aller Kirchenschelte die Aufforderung des Grundgesetzes ernst zu nehmen und umzusetzen.

Adressaten: Landesparteitag, Landtagsfraktion, Bundesparteitag, Bundestagsfraktion

 

Parsa Marvi Bundestagsabgeordneter vor Ort